24. November 2021

Die Potenziale der Gebäudebegrünung

bb-Nachbericht: 6. Fachdialog Fassadenplanung

Bedingt durch die Corona Situation war die Teilnahme im Next Studio nur in limitierten Umfang möglich. Foto: Wicona / Mediashots

„Alles auf Grün“: Unter diesem Motto fand am 16. November 2021 im Next Studio by Wicona + Partners in Frankfurt am Main der 6. Fachdialog Fassadenplanung rund um die Gebäudebegrünung statt. Dabei beleuchteten kompetente Speaker das Zukunftsthema aus verschiedenen Perspektiven – von der Forschung über die Planung bis hin zur Bewirtschaftung und Pflege von begrünten Gebäuden.

Der fortschreitende Klimawandel und die zunehmende urbane Verdichtung bedeuten enorme Herausforderungen für die Stadtplanung der Zukunft. Hier werde die intelligente Begrünung von Dächern und Fassaden zukünftig ein wichtiger Baustein zur Erhaltung von Nutzerkomfort und Lebensqualität sein, stellte Prof. Dr.-Ing. Holger Techen (Lehrstuhl für Tragwerkslehre und Baukonstruktion/UAS Frankfurt) schon zu Beginn des im Hybrid-Format ausgetragenen Fachdialogs fest. Dem pflichtete auch Co-Moderator Rudi Scheuermann (Globaler Leiter Building Envelope Design/Arup) bei: „In Zukunft werden wir an begrünten Gebäude nicht mehr vorbei kommen.“

Plädoyer für die Gebäudebegrünung

Und schon die erste Referentin – Prof. Dr.-Ing. Nicole Pfoser von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen – konnte diese These mit vielen Fakten untermauern. Zunächst gab die Expertin einen Überblick zu den verschiedenen Möglichkeiten der Gebäudebegrünung: Von bodengebundenen Begrünungen wie Gerüstblätterpflanzen über wandgebundene Begrünungen bis hin zur Dachbegrünung erläuterte sie die Systeme und stellte zahlreiche gelungene Projekte vor. Zum Beispiel konnte beim Bürogebäude der Magistratsabteilung 48 in Wien der Wärmeverlust über die Fassade dank einer Begrünung deutlich reduziert werden. So werden im Winter 20 Prozent der Heizenergie eingespart, während im Sommer im Innern die Raumtemperaturen deutlich geringer sind und die Klimaanlagen entlastet werden. Wenn in Innenstädten 60 Prozent der Fassaden und Dach begrünt würden, ließe sich die Temperatur im nahen Straßenraum um einen bis 1,5 °C senken, so Prof. Poser. Auch zur Lösung gravierender urbaner Probleme wie Lärmbelastung oder Regenwasserrückhalt trügen Begrünungen effektiv bei. Zudem sorgen sie zur Erhaltung der Biodiversität. Nicht zuletzt hob die Expertin auch die gestalterische Dimension von Begrünungen in stark verdichteten Innenstädten hervor. Diese erhöhen nicht nur die Lebensqualität und den Erholungswert, sondern sorgen bei Gebäuden in der Regel für eine Wertsteigerung von bis zu 20 Prozent.

Grüne Perspektiven aus Singapur

Schirin Taraz von Woha Architects beleuchtete die Gebäudebegrünung aus stadtplanerischer beziehungsweise architektonischer Perspektive und erklärte dabei zunächst die Philosophie des seit 26 Jahren in Singapur ansässigen Architekturbüros. Schon ganz zu Beginn fließen Kriterien wie „Wieviel steuert eine Begrünung bei in der Umgebung?“ und „Was gibt die Begrünung der Stadt zurück beziehungsweise welchen Wert hat sie?“ mit ein. Auf Basis dieser Analyse erfolgt dann die konkrete Projekt-Planung. Beim mitten in Singapur entstandenen Hotel- und Bürokomplex „Parkroyal on Pickering“ zum Beispiel verbindet das Büro grüne Natur mit wegweisender Architektur. Das Hochhaus fällt mit einer organisch anmutenden Formensprache auf und verfügt über ca. 15.000 Quadratmeter Gärten, Wasserbecken, Terrassen und begrünte Wände.

Ein echter Eyecatcher in der städtischen Struktur ist auch das 190 Meter hohe Hotel „Oasia Downtown“. Die leuchtend rote Fassade wird gesäumt mit Kletterpflanzen und Reben. Darüber hinaus finden sich über das ganze Hochhaus verteilt teils zehn Stockwerke hohe, mit Bäumen und Pflanzen versehene Räume – „Sky Gardens“, die auch zur Erhaltung der Biodiversität beitragen. Schirin Taraz: „Bei Oasia konnten wir die Oberflächentemperatur um 20 bis 30 °C im Vergleich zu unbegrünten Gebäuden reduzieren. Das macht gerade im heißen Tropenklima von Singapur sehr viel aus.“

Auch beim örtlichen sozialen Wohnungsbau-Projekt „Kampung Admiralty“ konnte durch das Grün an der Fassade ein Naturerlebnis mitten in der Stadt geschaffen werden, während beim ebenfalls von Woha geplanten Singapur-Pavillon für die Expo 2020 Dubai ein autarkes Ökosystem geschaffen wurde, das seine Energie vollständig von auf dem Dach installierten Photovoltaikmodulen bezieht.

Vielfältige Pflanzenwelt an der Fassade

Danach folgte der Sprung von der Architektur hin zur Pflanzenwelt. Prof. Dr. Alexander von Birgelen (Hochschule Geisenheim University) erläuterte die verschiedenen Arten der Gebäudebegrünung und ging dabei auch auf die wichtigsten Standortkriterien ein. Um die richtige Pflanzenart wählen zu können, müsse im Vorfeld geklärt werden, wie die Fassadengliederung aussieht, wie hoch die zu begrünenden Fläche ist, wie die Bodenverhältnisse sind und wie es mit der Wasserversorgung, Klima-, Licht- und Windverhältnissen aussieht. Dazu stellte der Referent Beispiele aus der Praxis vor und erläuterte dabei die unterschiedlichen Anforderungen an die Pflanzen. Prof. Birgelen: „Bei wandgebundenen Begrünungen wie beispielsweise Pflanzkübeln mit Kletterpflanzen ergeben sich viele Gestaltungsoptionen, jedoch sind die Durchwurzelungstiefen im Vergleich zu bodengebundenen Systemen begrenzt und die Pflanzen sind anfälliger gegen Frostereignisse.“ Fazit: Bei der Planung aller Systeme ist ein umfangreiches Know-how erforderlich – nicht zuletzt auch, um Schäden an Pflanzen und Fassade zu vermeiden.

Einblicke in die Begrünungspraxis

Der passionierte Landschaftsgärtner Martin Belz (Jakob Leonhards Söhne) widmete sich der praktischen Umsetzung von Gebäudebegrünungen und schilderte dabei seine Erfahrungen aus bekannten Projekten wie dem von Ingenhoven Architects geplanten Kö-Bogen II in Düsseldorf oder der Tropenerlebniswelt Gondwanaland in Leipzig. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, sei in allen drei Projektphasen – Planung, Bau und Wartung beziehungsweise Pflege – ein enges Zusammenspiel des „Dreigestirns“ Architekten, Bauherrn und Bauausführender nötig. Dabei warb Martin Belz vor allem dafür, den Landschaftsgärtner viel früher mit in die Planung einzubeziehen. „Wir sind ja schließlich dazu da, sicherzustellen, dass das ganze Begrünungskonzept in der Praxis auch funktioniert. Und letztendlich sollen wir ja auch die Gewährleistung übernehmen“, so der Spezialist.

Begrünungen im städtebaulichen Kontext

Zum Abschluss zeigte Dipl.-Ing./M.A. Architekt Joachim Wendt vom Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher zahlreiche geplante und realisierte Beispiele für die gelungene Integration von begrünten Gebäudehüllen in den städtischen Kontext. Ein Highlight ist beispielsweise das Forschungsgebäude „Shenfang Park“ in Shenzhen. Direkt am Fluss gelegen, steigt der Hochhauskomplex vom Ufer aus stufenweise an – bis zu einem 120 Meter hohen Büroturm. Zwei Reihen immer höher gestapelter, gläserner Gebäudekörper lassen im Zwischenraum einen grünen Innenhof entstehen. Prägend sind dabei die Dachterrassen auf jeder Stufe – diese sorgen für frische Luft, reduzieren Wärmebelastung und steigern die Aufenthaltsqualität.

Beim Bürogebäude „Amedes Kompetenzzentrum“ in Göttingen plante das Architekturbüro auf Wunsch des Bauherrn die Außenanlagen mit einem hohen Anteil grüner Architektur. Ein Eyecatcher: die vertikalen grünen Wände, die in den Sommermonaten mit gesammeltem Regenwasser bewässert werden. Nicht zuletzt verdeutlichte Joachim Wendt, dass Fassadenbegrünungen längst auch im Wohnungsbau angekommen sind. Bei einer aktuell geplanten Wohnanlage in Karlsruhe – Bauherr ist ein Brauereibesitzer – werden die Balkone mit Hopfen begrünt. Diese sorgen für Verschattung, verbessern die Durchlüftung und steigern den Wohnkomfort.

Der komplette Livestream ist über diesen Link abrufbar.

Mehr Informationen zum Next Studio gibt es über diesen Link.

 

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